Besuch in der Gesenkschmiede Hendrichs in Solingen
Am 28.4.2012 besuchte eine Gruppe des BSV Mülheim gut gelaunt und sehr gespannt die Gesenkschmiede in Solingen. Alle Teilnehmer waren neugierig darauf, was wir dort wohl zu sehen bzw. anzufassen bekämen. Auch bei diesem Museum handelt es sich um eines der barrierefreien Museen des Landschaftsverbands Rheinland.
Die 1886 gegründete Gesenkschmiede Hendrichs hat keine schmucke Fassade. Die Gesenkschmieden waren die Hinterzimmer der Solinger Industrie und doch von zentraler Bedeutung: Hier wurde die geschmiedete Rohware gefertigt.
Eine „Werkstatt für die Welt" – das war die Stadt Solingen mit ihrer Schneidwarenherstellung Ende des 19. Jahrhunderts.
Die historische Gesenkschmiede ist ein ganz besonderes Museum, denn hier wird noch richtig produziert. Die Museumsschere wird vollständig in der Fabrik gefertigt. Schritt für Schritt lässt sich so nachvollziehen, wie sie entsteht.
1999 eröffnete das Museum in einer denkmalgeschützten Gesenkschmiede. Ein Fabrikensemble mit Dampfschleifergebäude, vier kompletten Werkstätten, Maschinenhaus und großen Lagerräumen, in denen Tausende von Rohlingen aufbewahrt sind.
Hier lernten wir vieles über die Scherenfertigung, Antriebssysteme, Rationalisierung und Mechanisierung, Arbeiterbewegung und -kultur. Geschichte der Fabrik, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Solinger Schneidwarenindustrie.
Im Kontor erinnert zum Beispiel eine Ausstellung an die schwere Arbeit der „Lieferfrauen.“ Sie trugen, immer zu zweit, Körbe mit den Rohlingen auf ihren Köpfen. So konnten sie sich gegenseitig beim Ab- bzw. Aufsetzen der schweren Körbe helfen.
Zusätzlich führten sie auch noch einen Hundekarren mit, der ebenfalls mit Rohlingen beladen war. Es handelte sich bei den „Lieferfrauen“ um die Frauen der dort beschäftigten Handwerker. Sie mussten die gefertigte Ware zur Weiterverarbeitung an die entsprechenden Stellen abliefern, und zwar ohne jede finanzielle Vergütung.
1886 gründeten die Brüder Peter und Friedrich-Wilhelm Hendrichs die Gesenkschmiede in Solingen-Merscheid.
Gründe hierfür waren die Mechanisierung des Schmiedevorgangs. Sie sollte sich binnen weniger Jahrzehnte zu einer der größten Solinger Gesenkschmieden mit insgesamt 33 Hämmern entwickeln. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Schmiedeprozess in Solingen vollständig vom Handschmieden auf das mechanisierte Gesenkschmieden umgestellt. Die Gesenkschmiede Hendrichs darf als typisches Beispiel für diese Entwicklung angesehen werden. Die zahlreichen Gesenkschmieden erzeugten die Rohware, die dann auf traditionelle Weise in kleinen Handwerks- bzw. Heimarbeiterbetrieben weiterverarbeitet d.h. zum Beispiel gehärtet, geschliffen und montiert wurden.
Wie alle Gesenkschmieden so bestand auch die Gesenkschmiede Hendrichs im Wesentlichen aus vier Abteilungen:
1. Der Spalterei, in der das Rohmaterial, lange Stahlruten von 4 bis 6 m Länge, an schweren Pressen auf Maß geschnitten werden.
2. Der Schmiede, in der die Rohlinge im Gesenk geschlagen werden und dabei ihre Form erhalten.
3. Der Schneiderei, in der anschließend das überflüssige Material – der Flügel – abgetrennt wird.
4. In der Werkzeugmacherei werden die Werkzeuge zum Schmieden (Gesenke) und Entgraten (Schnitte) hergestellt.
Zum Antrieb der Maschinerie über Transmission wurden ein Kesselhaus und ein Maschinenhaus für die Dampfmaschine benötigt. 1956 wurde stattdessen ein Dieselmotor installiert. Hierzu kamen die Lager für die Rohlinge und die Werkzeuge. Im Falle der Gesenkschmiede Hendrichs ergibt sich eine Besonderheit daraus, dass sie zugleich über eine so genannte Dampfschleiferei verknüpft war, in der selbständige Schleifer
(Heimarbeiter) einen Arbeitsplatz gemietet hatten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Zahl der Beschäftigten von etwa 60–70 in den 1950er Jahren – vor allem bedingt durch die schwere Krankheit von Peter-Wilhelm Hendrichs – auf schließlich acht zurück. Nach dem Tod von Peter-Wilhelm Hendrichs führte die Witwe Luise Hendrichs die Geschäfte weiter, stets auf der Suche nach einer Möglichkeit, den Betrieb ohne Härten für die Beschäftigten auslaufen zu lassen. In dieser Situation erwies sich das Angebot des LVR, die Gesenkschmiede mitsamt der Beschäftigten zu übernehmen, als Glücksfall.
Als die Firma Hendrichs hundert Jahre nach ihrer Gründung, also 1986, ihre Tätigkeit einstellte, wurde die Gesenkschmiede von einem Tag zum anderen zum Museum.
Der Landschaftsverband Rheinland hatte die Fabrik erworben, um sie zu einem Standort des von ihm betriebenen Industriemuseums zu machen. Mitarbeiter der Firma Hendrichs behielten ihren Arbeitsplatz und demonstrieren weiterhin die Produktion von Scheren.
Die Gesenkschmiede erfüllte bei ihrer Schließung weder die Sicherheitsanforderungen an einen modernen Betrieb noch an eine Einrichtung mit Publikumsverkehr. Außerdem musste Museums-Infrastruktur in die Fabrik eingebaut werden. Der Landschaftsverband Rheinland finanzierte daher mit 2,0 Millionen DM und das Land NRW mit 15 Mio. DM Fördergeldern die Herrichtung zum Museum, ohne dass der denkmalgeschützte
Charakter der Fabrik mit seiner Arbeitsatmosphäre verloren ging. 1999 erfolgte dann die offizielle Neueröffnung.
Alle Maschinen, die Fallhämmer, Pressen und Fräsmaschinen, alle Werkzeuge, auch die Werkbänke für die Werkzeugmacher sind noch komplett vorhanden. Selbst der Umkleideraum mit den alten Spinden, der Waschraum mit der langen Reihe drehbarer Waschschüsseln, das Maschinenhaus oder das Kontor mit der klappernden Schreibmaschine ist noch da. Auch die Firmenvilla der Unternehmerfamilie steht noch immer an ihrem Platz.
In der ehemaligen Gesenkschmiede Hendrichs mit mehr als 3.500 m² Ausstellungsfläche werden immer noch Scherenrohlinge an den Fallhämmern hergestellt. In der Werkzeugmacherei werden die Gesenkwerkzeuge für die Scherenformen mit Maschinen und am Schraubstock bearbeitet. Die Weiterverarbeitung der Scherenrohlinge – das Härten, das Schleifen und das Zusammensetzen – wird in ehemaligen, noch betriebsfähigen Heimarbeiter-Werkstätten, die in die Ausstellung integriert wurden, gezeigt. Weitere Abteilungen veranschaulichen die Mechanisierung des Schleifens und erläutern die Arbeit in der Schneidwarenproduktion.
Die herrschaftliche Firmenvilla von 1896 bietet darüber hinaus Einblicke in die bürgerliche Lebenswelt der Fabrikantenfamilie. Hier befindet sich auch das Museumscafé mit Wintergarten. Auch die Gartenanlage mit altem Baumbestand kann im Sommer von Besuchern als Biergarten genutzt werden.
Nach so vielen Infos stellte sich bei uns nun auch Hunger und vor allem Durst ein, da die Temperaturen plötzlich auf 25 Grad angestiegen waren.
Mit unserem Reisebus fuhren wir zum Haus Müngsten, wo wir ein leckeres Mittagessen bekamen und auch unseren Durst stillen konnten. Der Nachmittag stand zur freien Verfügung. Einige gingen an der Wupperpromenade spazieren, andere verteilten sich auf den verschiedenen Sonnenterassen des Gasthofes. Nun endlich bekam auch Blindenführhund Alex seinen ersehnten Auslauf, nachdem er ca. zwei Stunden Museumsführung geduldig über sich ergehen lassen musste.
Gegen 17 Uhr fuhren wir wieder, vollgestopft mit vielen Infos und gutem Essen, gen Mülheim. Es war wieder einmal ein rundum schöner Tag, an den die Teilnehmer sicher noch lange denken werden.
Christa Ufermann