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Die Schule am Ring ist „auf den Hund gekommen“…

Fürhund Chilli

Ich gehe den langen Schulflur in Richtung Sekretariat und höre schon das Schnüffeln und Hecheln, noch bevor ich den großen schwarzen Labrador und sein Frauchen sehe.

Wir haben nämlich heute in der Familienklasse 2, Besuch von Frau St. Mont – einer sehbehinderten Dame und ihrem Führhund Chilli. Mein Name ist Tanne Brodel und ich bin Vertretungslehrerin an der Schule am Ring, in Wesel. In meinen Unterrichtsstunden geht es seit ein paar Wochen nämlich um Hunde die Jobs haben. Und davon gibt es sehr viele verschiedene. Hunde können als Polizeihunde, Suchhunde, Rettungshunde, Schlittenhunde, Lesehunde, Jagdhunde, Bewährungshelferhunde, Filmhunde und vieles mehr eingesetzt werden und die Menschen durch ihre Mitarbeit unterstützen.

In unserer Stunde heute geht es um Führhunde, die mit sehbehinderten Menschen zusammenleben und ihnen im Alltag helfen. Klar, kann man auch alles Wichtige darüber im Internet lesen, aber einen Erfahrungsbericht von einer Betroffenen, die sogar ihren Führhund mit in die Schule bringt, ist viel anschaulicher.

Ich begrüße also Frau St. Mont und Chilli. So heißt die süße, schwarze und gut genährte Labradorhündin. Sie freut sich mich zu sehen, als wären wir alte Bekannte. Sie ist sehr aufgeregt und vollführt einen kleinen Freudentanz. Sie hüpft hoch und runter, sodass Frau St. Mont hin und her gezogen wird. Das soll natürlich nicht passieren. Aber heute ist Chillis erster Einsatz an einer Schule. Also gibt es nicht gleich „Schimpfe“.

Frau St. Mont bittet mich in Richtung der Klasse vorauszugehen. Sie gibt Chilli den Befehl: FOLG – und ich höre hinter mir das aufgeregte Hecheln von Chili, die von all´ den Gerüchen und Sinneseindrücken geradezu überflutet wird. Das Mittagessen der Schülerinnen und Schüler ist zwar gerade vorbei, aber der Duft von Bratwürstchen und Kartoffelbrei hängt noch in den Gängen und duftet sehr lecker. Frau St. Mont muss Chilli mehrmals ermahnen, dass sie nicht so schnell laufen soll und benutzt zusätzlich ihren Blindenstock als Hilfsmittel, damit Sie sich hier, in der für sie und ihren Hund neuen Umgebung, zurechtfinden kann, ohne Gefahr zu laufen zu stolpern oder zu fallen.

Wir nehmen den Aufzug und Chilli benimmt sich vorbildlich. Sie zeigt den Einstieg des Aufzugs an, indem sie kurz stehen bleibt. Unten angekommen gehen wir in den Klassenraum. Auch hier strömen so viele neue Gerüche auf Chilli ein, dass sie den Wassertopf, den ich ihr hinhalte, gar nicht wahrnimmt. Das Führhundegeschirr wird ihr abgenommen und so darf sie sich, bis die Kinder gleich aus der Pause kommen, frei in der Klasse bewegen. Was es hier alles zu beschnüffeln gibt, toll! Die Schultaschen und Rucksäcke der Kinder, die Turnbeutel, die Abfalleimer, die Schränke und Spiele. Sogar ein Sofa gibt es hier, aber da darf Chilli nicht drauf. Als sie gerufen wird, kommt sie gleich angelaufen und legt sich brav an den Stuhl, den ich Frau St. Mont hingestellt habe. Es ist eine neue Situation, an die auch ich mich erst gewöhnen muss. Vieles im Umgang mit sehbehinderten Menschen, ist gar nicht so selbstverständlich. Also sage ich Frau St. Mont ganz genau, wo im Raum sich der Stuhl befindet, auf den sie sich setzen kann. Ich führe ihre Hand an die Lehne und sie betastet den Stuhl, sodass sie sich ein inneres Bild davon machen kann. Wie herum er steht, wo die Sitzfläche ist und wie hoch der Stuhl ist. Sachen, über die sich sehende Menschen keine Gedanken machen müssen. Wenn man aus einer neuen Perspektive auf die Alltäglichkeiten des Lebens schaut, entdeckt man viele spannende Dinge.

Sie fragt mich: „Und wo sitzen dann gleich die Schülerinnen und Schüler“? Sie möchte nämlich gerne in die richtige Richtung schauen, auch wenn sie nicht sehen kann.Ihre Gegenüber sollen sich im Gespräch angesprochen fühlen. Und tatsächlich habe ich schon nach den ersten paar Minuten unseres Vorgesprächs vergessen, dass Frau St. Mont mich nicht sehen kann.

Sie hat ihre dunkle Brille abgenommen und ihre Augen vermitteln den Eindruck, dass sie mich sehen kann, auch wenn das tatsächlich nicht der Fall ist.

Und dann läutet die Schulglocke. Die Pause ist zu Ende. Das bisher, durch die geschlossenen Fenster, dumpfe Lärmen und Lachen der Kinder wird jetzt immer lauter. Schon stehen sie vor der Tür.

Doch als ich ihnen die Türe öffne, werden sie alle leise. Zumindest relativ leise. Sie wissen, dass es für den Hund, den sie gleich kennenlernen werden, Stress bedeutet, wenn 12 Kinder gleichzeitig laut redend, oder schreiend in den Raum kommen. Am Liebsten würden die Kinder Chilli streicheln, aber sie setzen sich erstmal abwartend auf ihre Plätze.

„Ohhhh ist die süß, sagt Finja dann doch in die Stille hinein. Und andere Kinder schließen sich an. „Sie hat echt schönes schwarzes, glänzendes Fell, sagt Lea. Und Leon meint, „sie hat sehr schöne und treue braune Augen.“

Also Chilli kommt bei den Schülerinnen und Schülern schon mal gut an. Jetzt beginne ich ein Interview mit Frau St. Mont und sie erzählt sehr offen über ihr Leben. Sie berichtet von der Augenkrankheit, die sie schon als Kind hatte und die im Laufe der Jahre immer schlimmer wurde. Zu ihrer großen Freude konnte Frau St. Mont ihre Tochter, nach der Geburt, noch sehen. Das war ihr besonders wichtig. Während sie erzählt, trauen auch die Kinder sich mehr und mehr, Fragen zu stellen. Auch ganz persönliche. Und auch die werden beantwortet. Zum Beispiel, wie das Leben ist, wenn man früher einmal sehen konnte und dann das Augenlicht verliert. Niemand von uns in der Klasse kann sich das vorstellen. Aber Frau St. Mont berichtet, dass sie sich relativ schnell an den Zustand, nichts mehr sehen zu können, gewöhnt hat. Sie ist ja auch nicht von einem Tag auf den anderen – wie zum Beispiel durch einen Verkehrsunfall- erblindet. Es war ein langsamer Prozess und so hatte sie die Möglichkeit, sich daran zu gewöhnen. Natürlich ist so ein Schicksal nicht für alle Menschen gleich. Manche kommen gut zurecht und sehen auch die spannenden Entwicklungspotentiale ihrer anderen Sinne. Das Hören und Riechen und Schmecken und Tasten…alle diese Sinne verbessern sich und bereichern die Fähigkeiten der sehbehinderten Person.

Die Fragstunde ist zwar für uns spannend, aber Chilli scheint sich zu langweilen. Wir fragen die Kinder, ob Chilli in der Klasse frei herumlaufen darf. Alle sind begeistert. Chilli auch. Sie stürmt los. Sie schnuppert und wedelt und hüpft herum. Die meistern Kinder freuen sich darüber, aber als wir merken, dass es auch zwei Kinder gibt, die ängstlich reagieren, muss Chilli wieder an die Leine. Ich habe eine andere Idee. Ich habe am Tag zuvor schon am Telefon gefragt, ob ich Leckerchen für Chilli mitbringen darf. Die verteile ich jetzt an die Kinder, die Chilli füttern und streicheln wollen. Nacheinander kommen sie zu uns nach vorne. Manche haben gar keine Berührungsängste. Manche wollen das Füttern aus der Hand lieber mit mir zusammen machen. Nachdem jetzt ein bisschen Action war, erzählt Frau St. Mont den Schülerinnen und Schülern noch, wie ein Führhund ausgebildet wird und dass es Familien gibt, die im ersten Lebensjahr des Hundes seine Pflegefamilie sind, solange, bis die Ausbildung beginnt. Die Integrationshelferin der Klasse, Frau Schlusemann, erzählt, dass sie und Ihre Familie schon mehrere Hunde als Pflegefamilie betreut haben. Sie haben den kleinen Welpen geholfen sozialen Umgang zu lernen. Keine Angst auf der Straße zu haben und mit allen Geräuschen des täglichen Lebens zurecht zu kommen. Egal ob ein Presslufthammer an einer Baustelle, Autolärm, Staubsauger, Telefon oder das Wiehern von Pferden. Nichts soll den kleinen Hund erschrecken. Nach einem Jahr kommt er dann in die Ausbildung. Die Ausbilder versuchen dann, den Hund zu finden, der am besten zu dem jeweiligen sehbehinderten Menschen passt. Charakter und Temperament müssen stimmen.

Sanja fragt, ob das ihr erster Hund ist. Und Frau St. Mont erzählt, dass sie schon einen Führhund hatte. Auch ein Weibchen, aber ganz anders als Chilli. Ihre erste Hündin war ganz ruhig und entspannt. Chilli dagegen ist sehr temperamentvoll und immer neugierig.

Egal wohin Frau St. Mont auch gehen möchte, Chilli hilft ihr den richtigen Weg zu finden. Sie zeigt den Bürgersteig an und erkennt Gefahren. Wenn zum Beispiel eine Baustelle auf dem Gehweg ist, führt sie Frau St. Mont daran vorbei. Sie findet Bushaltestellen nach Aufforderung und mit ihr erreicht Frau St. Mont sicher jedes gewünschte Ziel.

Jetzt aber genug geredet. Wir wollen sehen, wie das draußen auf der Straße klappt. Chilli bekommt ihr Führhundegeschirr wieder angelegt. Sie bleibt dabei ganz ruhig stehen und wartet, bis Frauchen fertig angezogen ist. Dann gehen wir zuerst über den Schulhof. Ich sage Frau St. Mont, dass in ungefähr 20 Metern 2 längere Treppenabschnitte kommen. Sie gibt Chilli den Befehl die Treppe anzuzeigen.

Das klappt nicht wirklich gut. Chilli ist zu aufgeregt. Zu viele Stimmen, zu viele Füße um sie herum. Wir bleiben erst mal alle, in ein paar Meter Entfernung stehen und hoffen, dass es jetzt klappt. Und tatsächlich. Chilli zeigt die Treppe an, indem sie stehen bleibt. Der erste Treppenabsatz hat gut geklappt, aber den zweiten Absatz hat sie wieder nicht angezeigt. Also – alles zurück. Sie muss das richtig machen. Das ist für die Person, die sie führt überlebenswichtig. Beim nächsten Anlauf macht Chilli dann alles richtig. Auch die Bordsteinkante zeigt sie an.

Wir gehen in einen parkähnlichen Teil auf der anderen Seite der Straße. Hier darf Chilli kurz frei herumlaufen, damit sie ihr Geschäft verrichten kann. Sie nutzt die gewonnene Freiheit und stöbert überall rum. Auch das Rufen ihres Frauchens wird beflissentlich überhört. Hmmmm. Wir sind alle etwas angespannt und alle rufen durcheinander, was natürlich nicht wirklich hilft. Dann holt Frau St. Mont eine Pfeife heraus und als der Pfeifton erklingt, kommt Chilli, ziemlich schuldbewusst, sofort zurück. Ja klar, so ist das ja oft. Der berühmte Vorführeffekt. Danach sind wir bestimmt noch 20 Minuten unterwegs. Eine kleine Runde um die Schule herum. Und alles läuft prima. Chilli hört auf jedes Kommando und benimmt sich vorbildlich. Für ihren ersten Einsatz hat sie das ganz toll gemacht. Die Kinder verabschieden sich mit Streicheleinheiten und knuddeln Chilli nochmal.

Die Schülerinnen und Schüler haben heute nicht nur vieles über den Beruf eines Führhundes gelernt, sondern auch einen sehr persönlichen Erfahrungsbericht von Frau St. Mont bekommen, die alle Fragen ausführlich beantwortet hat. Chilli schaut noch ein letztes Mal aus der Hundebox im Auto zu uns herüber und dann biegt das Auto um die Ecke.

Vielen Dank, für diesen tollen Nachmittag.

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