WAZ Mülheim 15.10.2012
Fachgruppe der Blindenführhundhalter NRW wagt gemeinsam mit einem
Rettungsteam des Deutschen Roten Kreuzes Mülheim ein Experiment: 15 blinde Halter und ihre Führhunde proben den Notfall
Von Martin Krampitz
Hund Ken und Frauchen Vera Giesen vertrauen sich blind. Denn die 55jährige Oberhausenerin ist blind, ihr Hund Ken ihr Führhund. Beide sind seit mehr als zehn Jahren ein eingespieltes Team. Vera Giesen kann sich auf den Königspudel verlassen, umgekehrt auch.Sicher und routiniert führt Ken Vera Giesen über Bürgersteige, überquert mit Frauchen Straßen und Ampelkreuzungen, klettert mit ihr Treppen hinauf und hinunter, fährt mit ihr Aufzug. Auch heute – bei der Übung vor der Gaststättte „AltesSchilderhaus“ an der Südstraße gehorcht der Vierbeiner aufs Wort...
Gute Reaktion bei der Rettung
Doch das ist keineswegs selbstverständlich. Denn hier wagt die Fachgruppe der Blindenführhundhalter für NRW gemeinsam mit einem Rettungsteam des Deutschen Roten Kreuzes Mülheim ein Experiment: 15 blinde Halter und ihre Führhunde proben im Rahmen ihrer Herbsttagung realitätsnah den Notfall. Der sieht so aus: Ein Blinder stolpert oder rutscht aus, stürzt zu Boden, braucht Hilfe. Das Rote Kreuz eilt zur Unfallstelle. Ein Helfer kümmert sich um die hilflose Person, die auf einer Rettungsdecke am Boden liegt. Bald nach der Erstversorgung kommt der Rettungswagen, bringt den blinden Verletzten ins Krankenhaus. Doch wie wird sich der Blindenführhund verhalten? Wird er ausrasten, bellen, beißen, im Glauben, Herrchen oder Frauchen verteidigen zu müssen? Zumal das zuverlässige Tier seinem Halter sonst nie von der Seite weicht.
Reaktion des Hundes testen
Doch alles geht gut: Ein weiterer Rot-Kreuz-Helfer führt den Blindenführhund langsam vom Unfallort zu einem zweiten Rettungswagen – ganz korrekt an einer Leine, nicht am weißen Geschirr, das sonst den blinden Halter mit seinem Führhund verbindet. Vera Giesen: „Das würde das Tier nur unnötig verwirren.“ Michael Schlenzker, Zugführer beim DRK-Mülheim: „Wir simulieren einen Unfall oder einen Sturz des Halters und testen die Reaktion des Hundes. Wir schauen, ob er uns als Rettungsteam
heranlässt und ob er sich von dem Blinden wegführen lässt. Aus hygienischen Gründen können wir das Tier nicht gleichzeitig mit im Rettungswagen mitnehmen. Es muss daher in einem separaten Wagen
transportiert werden.". Fast widerstandslos lassen sich die Vierbeiner von dem Helfer „abführen“, ohne Bellen, ohne Beißen.. Ab und zu dreht sich ein Tier noch einmal um, wirft aus seinen großen Hundeaugen nochmal einen sehnsüchtigen Blick zurück auf Frauchen oder Herrchen. Aber dann folgt der Vierbeiner brav, springt behende auf den Rücksitz eines zweiten Rettungswagens, im Ernstfall eines Fahrzeugs der Feuerwehr oder der Polizei.
Foto: Katja Marquard
Generalprobe geglückt
Probleme in Lebensmittelgeschäften
Das Procedere haben die blinden Hundehalter mit dem Roten Kreuz in Mülheim erst einmal geprobt. Aber noch nie in so einem großen Rahmen, gleich mit jeweils 15 Hunden und Haltern. Ergebnis: Die Generalprobe ist geglückt, der Erkenntnisgewinn ist groß!
Nur junge Hunde mit ganz bestimmten Eigenschaften kommen für die Ausbildung zum Blindenführhund in Frage. Die Tiere müssen ausgeglichen, intelligent, wesensfest, nervenstark, belastbar und
gesund sein. Labradore, Schäferhunde und Königspudel eignen sich
am besten. Erfahrene Trainer für Führhunde stellen bereits Welpen im Alter von acht Wochen auf die Probe, machen mit ihnen so genannte Welpentests, die ersten Eignungstests zum Blindenführhund. Danach werden geeignete Welpen in Patenfamilien gegeben. Dort werden die Junghunde etwa ein Jahr lang sozialisiert. Gute Schulen für Führhunde suchen ihre Patenfamilien speziell für diese Aufgabe aus,
Wenngleich Mensch und Hund in der Öffentlichkeit meist hilfsbereit
behandelt werden, weiß Vera Giesen von Problemen in Bäckereien
und Metzgereien: „Obwohl alle Hunde die Hygienebestimmungen
einhalten, stoßen wir als Halter dort immer noch auf Schwierigkeiten.“
Viele Blinde würden höflich aus dem Geschäft herausgebeten.
WAZ Mülheim 15.10.2012
Artikel von Martin Krampitz