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Flocki oder ein seltsamer Tag

Eine schöne

Meine Familie dreht durch – wirklich! Ich liege harmlos auf dem Teppich im Wohnzimmer, alle Viere von mir gestreckt. Sonst bückt sich mal einer und streichelt mich. Heute stolpern sie über mich. Sie reißen die Tür auf, rennen wie wild und rufen: „Weg da, aus dem Weg, Flocki!"

 

Flocki, das bin ich, leider. Ob einer von ihnen krank ist? Ich mach mir Sorgen um sie. Da poltert schon wieder jemand über den Flur und stößt die Wohnzimmertür auf. Ach, der Große ist es. Papa nennen sie ihn. Papa, Mensch, fall nicht über mich! Schon passiert. Knurr‘ ich ihn an? Nee, lieber nicht, sonst knurrt er zurück.

 

Was schleppt er ins Wohnzimmer, der Papa? Einen Baum! Was will er damit? Soll der zum Verheizen sein? Nee, glaube ich nicht. Meine Familie heizt mit Öl. Da fällt es mir ein: er hat den Baum für mich besorgt, damit ich bei der Kälte nicht mehr raus muss, um mein Bein am nächsten Straßenbaum zu heben. Ist der lieb, der Große, so ein schöner Baum – und ganz für mich! Vor Dankbarkeit spring‘ ich auf und renn‘ zum Baum, den will ich unbedingt mal ausprobieren. Ich hebe gerade mein Bein. Da keift der Papa los: „Lass das. Der ist nicht für Dich!“ Ach so, jetzt bin ich beleidigt, Schwanz eingekniffen und unter das Sofa. Ich möchte nur wissen, was er mit dem grünen Ding im Wohnzimmer machen will. Das ist heute ja alles sehr merkwürdig. Ich krieche nach vorn zu meiner alten Stelle auf dem Teppich. Der Papa kommt auf mich zu und – zack – stolpert er wieder über mich. Ich jaule laut auf, damit er mich zum Trost streichelt. So, das war laut genug! Na los, bück Dich schon, Großer, streichle mich. Aber nein, das tut er nicht. Er knurrt nur wieder: „Lieg nicht im Weg, verschwinde!“ „Unfreundlicher Kerl“, denke ich. „Du sollst hören, verschwinde!“, ruft er und reißt die Tür auf. Er zeigt zum Badezimmer. Dorthin soll ich immer, wenn ich im Weg bin. Ich will aber nicht. Die Fußbodenfliesen sind so schaurig kalt. Leider muss ich.

 

Ich liege da und spitze die Ohren. Aus den Zimmern der Kinder poltert es. Da hämmert einer. Aber vor allem riecht es ganz unverschämt gut nach einem großen Vogel. Der Duft kommt aus der Küche. Gesehen habe ich den Vogel auch schon. Die Mama hat ihn reingetragen. Ein Riesending – und ohne Federn. Eigentlich ist das ja ungerecht: ich darf keine Vögel jagen und schnappen. Nicht mal einen kleinen. Das haben sie mir streng verboten. Wenn ich es doch tue, komme ich sofort an die Leine. Aber die holen sich einfach einen Vogel. Ob die Mama höchst persönlich hinter ihm hergerannt ist und ihn geschnappt hat? Das hätte ich ja gerne gesehen. Danach hätte ich sie zur Strafe an die Leine genommen.

 

Wumm! Wird die Tür aufgestoßen. Ich kann gerade noch wegspringen. Diese Tierquäler! Der kleinste rast ins Badezimmer. Er wäscht sich die Hände. Ob er mit mir spielt? Ich stupse ihn mit der Schnauze ins Knie. Dann renne ich ein Paar Schritte weg. Meistens rennt er hinter mir her. Heute nur: „Keine Zeit! Ich muss noch was fertig machen und dann will ich die Schuhe putzen.“

 

Er will die Schuhe putzen? Er ist irre geworden. Er hat auch einen so hochroten Kopf und ein komisches Glitzern in den Augen. Und da flitzt er raus. Ich muss mal nachgucken, was das bedeutet.

 

Ein Baum im Zimmer – in der Küche ein großer Vogel, Gebäckduft! Alle laufen aufgeregt hin und her und flüstern miteinander, der Kleinste putzt die Schuhe – freiwillig – da fällt mir noch ein, dass Mutter gestern das Haus geputzt hat. Und Vater hat Päckchen aus dem Auto geholt. Jetzt bin ich fast ein dreiviertel Jahr alt, aber so eine Aufregung und so ein Durcheinander habe ich noch nie erlebt. Ich kann mir einfach nicht erklären, was das soll. Am besten, ich guck mich mal um, was sonst noch alles los ist.

 

Wo hast Du denn die Kerzen“, höre ich die Mama. Wieso sucht sie Kerzen? Das elektrische Licht brennt doch. Wir haben keinen Stromausfall. Jetzt ruft der Papa aus der Küche zu Mama im Wohnzimmer: „Die Kerzen wolltest Du doch mitbringen.“ „Nee, Du!“, kommt von ihr zurück. „Ich weiß genau, dass Du gesagt hast, ich bringe rote Kerzen mit!“, behauptet er. „Das kann gar nicht sein“, sagt sie, „Ich will nämlich gelbe!“ Und dann rufen sie beide: „Klaus“ – das ist der älteste von den Kindern. Und es passiert noch ein Wunder: Klaus kommt sofort, als sie nach ihm rufen. Sonst trödelt er sehr. „Lauf bitte schnell zum Kiosk und kauf vier Kartons rote Kerzen“, sagt Papa. „Nee, gelbe“, sagt Mama. „Also gut, zwei Kartons rote und zwei Kartons gelbe“, entscheidet Klaus. Im nächsten Augenblick rennt er los. Mensch, hat der es eilig, und vier Kartons Kerzen will er holen. Dann gibt es bestimmt lange keinen Strom. Jetzt höre ich die Mama: „Es ist schon viel zu spät. Wir müssen uns beeilen, die Verwandtschaft kommt in 1 1/2 Stunden.“ Jetzt verstehe ich. Das wird heute eine Familienversammlung. Stromausfall und Rudeltreffen. Aber nee, dahinter steckt mehr. Als ich an der Wohnzimmertür vorbei komme, sägt Papa nämlich unten an dem Baum herum. Und so was tut er sonst nie, wenn die Verwandtschaft kommt. Ob er den Baum Stück für Stück zersägt? Wahrscheinlich kriegt dann jeder Verwandte ein Stück Baum in die Pfote, ach, Hände heißt das ja bei denen. Dann wäre das grüne Ding gerecht verteilt. Aber, Papa sägt nichts mehr vom Baum ab. Jetzt kommt Susanne zu ihm und zeigt ihm was. „Ist schön geworden“, flüstert er, „sehr schön!“ In dem Augenblick öffnet die Mama die Wohnzimmertür. Susanne versteckt das schöne Ding hinter dem Rücken und drückt sich an Mama vorbei. Ah, Geheimnisse haben sie voreinander. Aber sonst tun sie so, als würden sie sich alles erzählen.

 

Los, und hinter Susanne her. Ich werde ihr das geheimnisvolle Ding abjagen und es der Mama bringen, die mir immer das Futter gibt. Sie soll auch mal was von mir kriegen. Ich spring an Susanne hoch und habe es schon fast im Maul, das geheimnisvolle Päckchen. Aber da wird Susanne giftig und schimpft: „Lass das, verschwinde!“ Sie stößt mich weg. Ich gebe auf und verstecke mich unter dem Sofa.

 

Klaus kommt mit den Kerzenkartons zurück. Zur Abwechslung ruft Papa jetzt ganz erschreckt: „Schon so spät! Und der Baum steht immer noch nicht!“ Ein neues Rätsel. Wieso soll der Baum im Wohnzimmer stehen? Und zwar zu einer bestimmten Zeit. Keine Ahnung. Und als er dann ganz prächtig und grün mitten im Wohnzimmer stand, passiert schon wieder etwas Merkwürdiges. Sie lassen ihn nicht einfach so stehen, nein, sie hängen runde Glaskugeln daran. Seltsam, seltsam. Und während sie das tun, fragt Klaus: „Wann zünden wir den Baum denn an?“ Nee, das gibt es nicht! Baum anzünden in der Wohnung. Das dürfen sie nicht. Die machen heute nur Quatsch. Mit zwei Sätzen springe ich zum Baum. Ich stelle mich davor und knurre jeden an, der näher kommt. Im Notfall werde ich auch beißen. Ich zeig ihnen schon mal meine Zähne, diesen Brandstiftern.

 

Ich kann den Baum nicht schmücken, wenn der verrückte Kerl mich nicht ran lässt!“, schimpft der Große. Wer ist denn hier verrückt? Erst den Baum schmücken und dann anzünden?

 

Ich bin ganz verwirrt und versteh‘ gar nichts mehr. Sie sind ja sonst wirklich ziemlich normale nette Leute, aber heute ist irgendeine Schraube bei ihnen los.

 

Eigentlich hat das schon vor ein paar Tagen angefangen, fällt mir ein. Auf einmal wurden alle aufgeregt. Da sind sie nicht mehr zur Schule und zur Arbeit gegangen. Wahrscheinlich ist es irgendwas mit den Nerven, was sehr ansteckend ist. Mama sagt zu den Kindern: „Ihr müsst Euch umziehen, und der Hund soll noch gekämmt werden.“ Bloß nicht! Das ziept so! Moment mal, ich glaube, dass ich was verstanden habe. Sie ziehen sich manchmal um, wenn sie weggehen. Wahrscheinlich gehen sie also weg, so zu sagen Gassi, und ich darf mit, denn ich soll ja noch gekämmt werden. Aber die Verwandtschaft kommt hier her und das ganze Familienrudel. Jetzt dämmert’s mir, klar: weil die Verwandtschaft kommt, geht meine Familie weg. Sonst wäre hier nicht genug Platz für die anderen. Aber der Baum, was soll der? Wahrscheinlich kommt der auch mit. Vielleicht hat man meine Straßenbäume draußen abgehackt. Das wäre dann der Ersatzbaum, und sie schmücken ihn, damit er schön aussieht. Aber warum wollen sie ihn anzünden? Damit komme ich nicht klar. Man kann die Menschen eben nicht ganz verstehen, tröste ich mich.

 

Ich lege mich an die Küchentür. Dort ist der Duft am herrlichsten. Vor allem der große Vogel riecht – ganz wunderbar. Dazu kommt noch ein Geruch: irgendeine besonders gute Wurst. Die Küchentür ist offen, und die Speisekammertür auch. Sehr nett. Also, schwupp, auf leisen Sohlen in die Küche und zur Speisekammer geschlichen. Da stehe ich vor einer unglaublich prachtvollen Wurst. Ein Duft zum Verlieben, zum Auffressen herrlich. Das halte ich nicht aus. Die schnappe ich mir. Schon geschehen, und jetzt husche ich ganz unauffällig mit der Wurst im Maul über den Flur und suche uns ein gemütliches Plätzchen, meiner duftenden Wurst und mir. Keiner hat uns gesehen. Unter dem Wohnzimmersofa liege ich sehr gemütlich , die Wurst zwischen den Pfoten. Der Große hängt Sachen an den Baum, den er nachher anzünden will. Niemand verbietet ihm das. Im Gegenteil, die Mama kommt rein und lobt ihn. Verstehe ich nicht, aber die Wurst schmeckt gut.

 

Jetzt klopfen die Kinder an die Tür und Fragen: ,“Wie lange dauert’s denn noch?“ „Eine Viertelstunde“, antwortet Mama. Warum klopfen die Kinder plötzlich an? Das tun sie sonst auch nicht. Egal. Noch ein bisschen, und die Wurst ist aufgefuttert. Leider, lecker war’s. Und jetzt verzieh ich mich an die frische Luft. Das tut gut nach dem Essen. Und vielleicht vergessen sie in der Zwischenzeit, dass sie mich eigentlich kämmen und bürsten wollen.

 

Wo kommst Du denn her?“, fragt der Papa, als ich unter dem Sofa hervorkrieche. Dumme Frage, er sieht doch, wo ich herkomme. Ich stelle mich vor die Haustür und belle. Dann wissen sie, dass ich raus will. Der Kleine macht mir die Tür auf. „Der Hund ist ja noch gar nicht gekämmt!“, ruft Susanne hinterher. „Alte Petze“, knurre ich. Leider versteht sie mich nicht.

 

Schön ist es draußen. Aus den meisten Häusern scheint ein anderes Licht als sonst. Da hat der Stromausfall schon angefangen. Ein Mann kommt auf mich zu. Den habe ich hier noch nicht gesehen. Auf dem Kopf hat er eine rote Mütze, und er trägt einen roten Mantel. Ein dicker Rauschebart verdeckt sein Gesicht. Und auf dem Rücken schleppt er einen Sack. Ich finde das sehr verdächtig und gehe hinter ihm her. Der seltsame Kerl will zu uns, merke ich. Das kommt nicht in Frage. Schließlich bin ich hier der Wachhund. Ich renne zu unserer Haustüre und stelle mich davor. Keinen Schritt weiter heißt das, sonst beiße ich. Zur Warnung knurre ich den Mann an. Aber der geht noch einen Schritt auf mich zu. Der kann wohl nicht hören. „Ruhig“, sagt er. So einen komischen Kerl habe ich noch nie gesehen. Der ist ja schlimmer als der Briefträger. Jetzt fasst er den Türgriff an. Und ich fasse auch zu, aber nicht nach dem Türgriff, ich zwicke ihm kräftig ins Bein. Den Türgriff lässt er los und rennt den Gehsteig hinunter. Ein Stückchen renne ich hinter ihm her, spring an ihm hoch und belle. Den habe ich verscheucht. Das hat Spaß gemacht. Wehe, der lässt sich noch einmal blicken. Meine Familie würde sich freuen, wenn sie wüsste, was sie für einen tüchtigen Aufpasser hat. Bei uns kommt keiner rein, wenn ich das nicht will.

 

Jetzt kommt die Verwandtschaft: Opas, Omas, Onkel und Tanten – das Rudel ist vollzählig. Aber es fehlt wohl doch noch einer, denn jeden Augenblick rennt eines der Kinder zur Haustür, guckt raus und fragt: „Wann ist er denn endlich da, der...?“ Und dann sagen sie noch so ein komisches Wort, das ich nicht richtig verstehe. Es klingt nach Nacht und Mann mit irgend etwas davor. Ob der auch zur Verwandtschaft gehört? Wann dieser Mann da sein wird, weiß ich nicht. Aber auf keinen Fall kommt einer mit rotem Mantel, Bart im Gesicht und Sack auf dem Rücken. Den habe ich gebissen. Und wenn der noch mal kommt, ist was los.

 

Die Mama fragt: „Wo steckt denn die Extrawurst für Flocki?“ Ach so, das war meine Wurst, die ich vorhin gefressen habe. Die steckt in meinem Bauch, und da steckt sie ganz prima. „Ich finde sie nicht“, höre ich aus der Küche, „aber für alle Fälle habe ich noch eine zweite Wurst. Die legen wir ihm unter den Baum!“ Sehr gut. Ich finde die Mama ausgesprochen nett. Ich verstehe zwar nicht, warum die Wurst unter den Baum gelegt werden soll. Normalerweise kommt mein Futter in den Napf.

 

Plötzlich höre ich ein Pochen an der Terrassentür im Wohnzimmer. Nichts wie hin. Und wen sehe ich? Den Kerl mit dem Rauschebart und Sack auf dem Rücken. Der Papa springt auf, ich aber auch. Er öffnet die Terrassentür, und ich mein Maul. Laut bellend stürze ich mich auf diesen seltsamen Kerl. „Flocki“, rufen sie alle, „nicht“. Warum denn nicht? Die sind gemein. Ich soll wohl gar keinen Spaß haben. Der Kerl ist doch verdächtig. Das finden sie aber gar nicht. Sie lächeln ihn freundlich an. „Endlich“, sagt die Mama, und der Komische mit dem Rauschebart sagt: „Ich wäre früher gekommen und nicht durch die Terrassentür, aber der hat mich verjagt.“ Er zeigt auf mich, und ich kläffe stolz. Sie sollen ruhig merken, wie tüchtig ich bin. „Aber Flocki“, erklärt Susanne, „Das ist doch der ...“ Wieder höre ich dieses seltsame Wort mit Nacht und Mann und irgendwas davor, was ich noch nie gehört habe.

 

Danach sagt der Papa: „Jetzt zünden wir den Baum an.“ Ich jaule noch mal - das sollen sie nicht tun.

Ruhig Flocki“, beruhigt mich Mama, und dann meint sie: „Den Flocki verwirrt der Rummel heute sehr.“ Kann man wohl sagen, knurre ich. Aber mich versteht ja doch niemand. Jetzt beachtet mich auch keiner mehr. Alle drängen ins Wohnzimmer. Nichts wie hin. Ich muss heute sehr aufpassen, sonst geht noch mehr schief. Es ist schon ein seltsamer Tag. Wirklich!

 

 

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